Widerstand gegen Verhandlungen ohne Bevölkerungsbeteiligung. Von Gregor Putensen
Nordeuropäer zeigen der EU-Reform kalte Schulter
In Skandinavien stoßen die Brüsseler Beschlüsse zur EU-Reform auf
Kritik. Vor allem, weil damit die Beteiligung der Bevölkerung
unterlaufen wird. Befürchtet wird zudem eine Dominanz der großen
Staaten in der Gemeinschaft.
Die portugiesische EU-Präsidentschaft hat einen beschleunigten Beginn
der Verhandlungen über die juristisch verbindliche Umsetzung der
Beschlüsse des Brüsseler Gipfels Ende Juni zum »abgespeckten«
EU-Verfassungsentwurf angekündigt. In Hinblick auf Nordeuropa gibt es
in der Tat Anlass, sich mit der vertragsrechtlichen Absicherung der
Gipfelergebnisse zu sputen. Die bürgerlichen Mitte-Rechts-Regierungen
Dänemarks, Finnlands und Schwedens befleißigten sich zwar, die
Positionen der deutschen Ratspräsidentschaft zur Reform der EU – zum
Teil bereits vor dem eigentlichen Gipfel – widerspruchslos zu
akzeptieren. Die Parlamente hatten zuvor allerdings nicht die
Möglichkeit, sich mit den konkreten Vorschlägen, die in Brüssel
verhandelt werden sollten und dann beschlossen wurden, zu befassen.
In der Bevölkerung der nordeuropäischen EU-Länder spricht
nicht allzu viel für einen erneuerten Europa-Enthusiasmus, geschweige
denn für eine Unterstützung der Gipfelergebnisse. Während im
Nicht-EU-Staat Norwegen im Juni nach wie vor eine Mehrheit von 48
Prozent gegenüber 42 Prozent gegen eine EU-Mitgliedschaft war, formiert
sich in Schweden im Vergleich zu Finnland und Dänemark der offenkundig
stärkste Widerstand gegen die Brüsseler EU-Reform. Dieser richtet sich
vor allem gegen die zentrale Zielsetzung der Ende Juni abgelaufenen
deutschen EU-Präsidentschaft, nämlich die von einer »Verfassung« zu
einem »Grundlagenvertrag« mutierte EU-Reform nicht mehr durch
Volksabstimmungen bestätigen zu lassen. Die radikalste Kritik an den
Gipfelergebnissen und der Haltung der schwedischen Regierung kommt aus
der Linkspartei, den Grünen und der Juniliste (die sich als
bürgerlich-nationale Ein-Punkt-Partei ausschließlich mit EU-Fragen
be-fasst). Aber auch aus Teilen der bürgerlichen Regierungskoalition,
so aus der Zentrumspartei, den Christdemokraten und dem Jungendverband
der konservativen Moderaten als stärkster Regierungspartei, die eine
Entwicklung zu einem EU-Überstaat befürchten, kommt Widerspruch.
Linkspartei und Grüne prangern vor allem die Haltung der mitglieds- und
wählerstärksten Partei Schwedens, der Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei (SAP), an. Deren neue Vorsitzende, Mona Sahlin, scheint
zur Zeit im diskreten Konsens mit der Regierung unter Fredrik Reinfeldt
alles zu unterlassen, was das voraussichtlich im kommenden Jahr
stattfindende Referendum zum Grundlagenvertrag beeinflussen könnte.
Schließlich geht es dabei auch um den künftigen Platz Schwedens in der
EU. Laut Meinungsforschungsinstitut Synovate sind 56 Prozent der
Schweden für eine Volksabstimmung zum EU-Grundlagenvertrag. Bei der
Diskussion der politischen Eliten zu diesem Thema ist die Erinnerung an
die Niederlage in der Volksabstimmung über die von ihnen beabsichtigte
Einführung des Euro stets präsent. Die Brüsseler EU-Beschlüsse drohen
inzwischen, das Ergebnis des Euro-Referendums obsolet zu machen, was
schwedischen Befürchtungen einer zunehmenden Dominanz der großen
Staaten innerhalb der EU nicht nur in dieser Frage weitere Nahrung
bietet.
Allerdings dürfte auch bei den Sozialdemokraten noch nicht das letzte
Wort in Bezug auf die Behandlung des Grundlagenvertrages gesprochen
sein. Sollten fünf Prozent der SAP-Mitglieder die Forderung nach einer
parteiinternen Mitgliederbefragung hierzu erheben, kommt die
Parteiführung statutengemäß nicht umhin, ihr zu entsprechen. Und das
mit der Erfahrung ihrer für gewöhnlich weit über die eigenen
Parteigrenzen reichenden politischen Wirkungen in die schwedische
Gesellschaft.
(Quelle: Neues Deutschland, 6. Juli 2007)